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Interview zur Zukunft der Grünstromvermarktung

"EEG-Förderung als Rückfalloption"

Tilman Weber

Der Marktwert des in Deutschland erzeugten Windstroms ist im vergangenen Jahr erstmals wieder gestiegen. Wir befragten Nicolai Herrmann (siehe Foto ganz unten in der Bildergalerie), Berater beim Berliner Expertendienst Enervis Energy Advisors, welche mittelfristige Entwicklung er nun für Windparkgesellschaften auf dem Strommarkt erwartet, und wann das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als Förderintrument für eine gesichert ausreichende Vergütung von Windparks obsolet wird.

Wie hoch muss der Marktwert von Windstrom noch steigen, der sich bisher aus dem Handel an den Strombörsen ergibt, damit sich die Vermarktung von Windstrom auch ohne die bisher übliche Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz lohnt?

Nicolai Herrmann: Was ein Windprojekt tatsächlich an Vergütung braucht, um noch angemessene Rendite abzuwerfen, ist doch stark abhängig von den jeweiligen Windpark-Standorten. Allerdings ist auch klar: Für ein rein kaufmännisches Merchantprojekt ist die Verzinsungserwartung durch die Investoren aber auch die Finanzierer definitiv höher als für ein EEG-Projekt, das eine staatlich garantierte 20-jährige Vergütung erhält. Banken würden hier mit zwei verschiedenen Stellschrauben arbeiten: Sie können entweder die Quote für das von ihnen verliehene Fremdkapital von derzeit 80 bis 90 Prozent auf vielleicht nur noch 50 Prozent zurückschneiden. Oder sie können den Kreditzins als Risikoaufschlag erhöhen und eventuell die Finanzierungsdauer reduzieren. Aber selbst in Skandinavien, wo die Erneuerbaren mit einem doppelten System der Vermarktung zurechtkommen müssen gelingt das: Hier erzielen Windparkgesellschaften die Erlöse auf dem Strommarkt und zusätzlich durch Verkauf von grünen Erneuerbaren-Zertifikaten, die große Stromverbraucher dort kaufen müssen. Obwohl beide Handelspreise volatil sind, scheuen die Banken die Finanzierung nicht: Es herrscht kein Mangel an Fremdkapital für Windkraft, es sind aber andere Risiken und Chancen zu bewerten als unter einem gesetzlichen Vergütungssystem.

Schon jetzt gibt es erste PPA in Deutschland – Stromlieferverträge mit der Industrie als große Stromverbraucher oder mit Stromhandelsgesellschaften. Was macht sie lukrativ?

Nicolai Herrmann: Dies sind im Wesentlichen Weiterbetriebs-PPA. Für die Investoren von Neuanlagen sind PPA ein Risikomanagementinstrument, das notwendig wird, wenn wir uns in einer Welt ohne die in Deutschland noch üblichen 20-jährigen Vergütungszusagen durch den Staat bewegen.. Anderswo wie in Großbritannien, Skandinavien und Spanien bilden sich schon PPA für Laufzeiten von über 10 bis hin zu 20 Jahren Laufzeit heraus. In einem solchen Liefervertrag muss neben dem konkreten Preis vor allem geklärt werden, wer das Risiko und die Chancen der Marktpreisveränderungen im Verlaufe der Jahre übernimmt. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze, wie Fixpreise, Indexierung oder Caps und Floors.

Gibt es keine anderen Modelle als PPA, oder reicht hier schlicht unsere Phantasie nicht, das auszudenken? Denkbar wäre doch auch der Vertrieb des Windstroms in einem regionalen Verbund an eine größere Menge von Endkunden.

Nicolai Herrmann: Auch der Verkauf des Windstroms an Dritte über solche regionalen Strommärkte würde doch letztlich durch irgendeine Form eines längerfristigen Vertrages abgesichert werden, um eine Investition in Wind oder PV, die mindestens 20 Jahre umfasst, bewertbar und finanzierbar zu machen. Also wäre auch hier eine Art PPA im Spiel. Und auch hier spielt der Stromgroßhandel wieder eine wichtige Rolle als Benchmark, denn die Frage ist ja am Ende immer: was würde der Strom kosten, wenn die Kunden ihn nicht aus dem Windpark, sondern vom Strommarkt beziehen.

Sie sagen: Weil immer mehr PPA die Vermarktung des Windstroms bestimmen werden, wird der Strommarkt irgendwann von selbst das branchenbekannte große Problem negativer Strompreise lösen? Negative Strompreise, verbunden mit finanziellen Belohnungen fürs Stromabnehmen, gibt es ja bisher bei Stromüberangebot. Bei PPA wird aber die bisher garantierte Entschädigung im Fall von negativen oder niederen Strompreisen wegfallen. Statt wie die bisher nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetzmit einem Festpreis geförderten Windparks immer einzuspeisen, werden durch langfristige Stromlieferverträge vergütete Windparks bei sich abzeichnenden negativen Preisen doch schnell ihre Einspeisung stoppen?

Nicolai Herrmann: Ja. Das könnte passieren, ...

Dass diese negativen Strompreise zurückgehen, weil die PPA-Windparks auf das Preissignal reagieren und dadurch das Windstrom-Überangebot reduzieren?

Nicolai Herrmann: ... es gibt dieses Szenario und ich halte es auch für recht wahrscheinlich. Allerdings gibt es auch Entwicklungen, die dem entgegenstehen, zum Beispiel die derzeit steigenden Ausschreibungsergebnisse und die Möglichkeit, dass die Marktwerte sich nur noch seitwärts entwickeln oder wieder fallen. Dann ist eher nicht mit ausreichenden strompreisgeführten Kapazitäten zu rechnen und wir könnten einen weiteren Anstieg negativer Preise sehen.

Würden die für die Energiewende benötigten Strom-Speicher noch gebaut werden, wenn Anlagenbetreiber ihre Anlagen aufgrund der Strompreissignale abregeln und nur bei ausreichend gleichzeitigem Bedarf produzieren?

Nicolai Herrmann: Dann müsste eine Betreibergesellschaft natürlich darüber nachdenken, ob sie die sonst verschenkte Erzeugung nicht besser in irgendeiner Weise doch retten und speichern oder anderweitig nutzen könnte. Dann bleibt zu klären, wo so ein Stromspeicher stehen sollte. Bei einer rein marktgetriebenen Strategie der Abregelungen müsste der Speicher nicht unbedingt nahe am Windpark stehen. Vielmehr stellt dann der Strommarkt die Drehscheibe für den Speichereinsatz dar. Bei einer durch lokale Netzengpässe getriebenen Abregelung hingegen müsste der Speicher in der Nachbarschaft zur Windenergieanlage stehen.

Auch über die Lastflexibilität wäre nachzudenken: Gäbe es Marktvorteile eines örtlichen Verbundes von Speicher, Erzeugungsanlage und Verbrauchern? Was sich davon letztlich durchsetzt, ist noch völlig offen und hängt vor allem auch an der regulatorischen Rahmensetzung, die Speicher derzeit eher benachteiligt.

Welche Szenarien haben Sie zu möglichen Entwicklungen des Strommarkts für die Windenergie? Gibt es ein besseres und auch ein schlechteres?

Nicolai Herrmann: Da wir über lange Zeiträume sprechen, diskutieren wir immer mehrere Szenarien. Ob eines besser oder schlechter als die anderen sein wird, lässt sich nicht beantworten, das kommt auf die Perspektive an. Da könnten die Kosten der Stromerzeugung durch Erneuerbare-Technologien weiter so dynamisch nach unten gehen wie in den letzten Jahren und auf der anderen Seite ein steigender CO2-Preis zum marktlichen Treiber der Energiewende werden. Aus Sicht der Erneuerbaren wäre es attraktiv, wenn ihre Erzeugungskosten weiter sinken und gleichzeitig der Strommarktpreis nachhaltig anstiege: Daraus ergäbe sich ein starker Ausbau der Erneuerbaren außerhalb der Reichweite gesetzlicher Daumenschrauben wie in den EEG-Ausschreibungen. Andererseits würden sich kleinere Akteure in diesem Szenario wohl schwerer durchsetzen können als größere. Ein Szenario wäre auch, dass die PPA-Revolution so erst einmal nicht erfolgt oder nur sehr langsam – und dann bliebe das EEG-Förderregime als wichtige Rückfalloption noch viele Jahre lang erhalten.

Dieses Gespräch ist der zweite Teil eines größeren Interviews zur möglichen Entwicklung des Strommarkts für Windstrom . Lesen Sie Teil 1 des Interviews in der neuen Ausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN, Heft 2/2019, die am 1. Februar erscheint. Falls Sie kein Abonnement haben, können Sie das neue Heft auch hier bestellen.