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Kommentar zu: Trifft sich die Kohlekommission:

"Bitte sofort Ausstieg klären - hätte 2019 Zeit"

Tilman Weber

Ohne Worte. Auf diese knappe Variante ließe sich der jüngste Fehltritt der Bundesregierung in ihrem erbärmlichen Umgang mit der Planung des Kohlekraft-Ausstiegs reduzieren – für die es ja sogar stabile Mehrheiten sowohl des Bundestags als auch der Bevölkerung gäbe!

Leider muss mehr gesagt werden, weil sich das grundsätzliche Problem der hier sichtbar werdenden Handlungsfähigkeit dieser Regierung mit Abwarten oder gar Weggucken eben nicht mehr auflösen wird. So sei noch einmal erinnert, wie wenig fruchtbar alle bisherigen Versuche waren, den vermeintlichen Verlierern eines Kohlekraftendes mit Hilfestellungen für den Strukturwandel zu dienen. Es sei erinnert: Da lassen die das Thema Kohleausstieg treibenden Energiewendepoltiker der Koalition aus Unionsparteien und SPD nun schon monatelang den Ängstlichen den Vortritt – und die von der Bundesregierung beauftragte Kohlekommission darf Schritt für Schritt erst alle Maßnahmen zum Ausgleich der befürchteten Folgen des Abschieds von der klimaschädlichen Verbrennungstechnologie verkünden: Mehr Geld für einen großen Infrastrukturausbau insbesondere zugunsten neuer Verkehrswege in den heutigen Braunkohle-Tagebau-Regionen, Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber, beschäftigungsfördernde Maßnahmen außer für die jetzt betroffenen Braunkohle-Arbeitnehmer auch für Ex-Arbeitnehmer des jüngst zu Ende gegangenen Steinkohlebergbaus.

Und jetzt das: Die Kohlekommission vertagt die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse und vor allem ihren Vorschlag für einen Kohleausstiegs-Fahrplan mitsamt Schlussdatum der Kohle-Verstromung auf Januar 2019. Dabei war der Auftrag für die Kohlekommission ein anderer, was ihr auch im vom Parlament verabschiedeten Einsetzungsbeschluss offiziell aufgeschrieben wurde. Denn die in der Kommission versammelten Politiker, Befürworter und Gegner, Umweltschützer und Kohle-Branchenvertreter müssten demnach bis Ende 2018 ihre Handlungsempfehlungen und den Ausstiegsplan bis Ende dieses Jahres präsentiert haben. Noch vor nur einer Woche hatte die Kommission sogar erklärt, am liebsten schon am 28. November die Arbeit erfolgreich abschließen zu wollen. Was wohl so viel heißen sollte wie, dann auch den Kohlekraft-Ausstiegsplan vorzulegen und endlich das irgendwo im Zeitraum von 2030 bis 2045 zu verortende Schlussjahr zu nennen.

Würde die Veröffentlichung des Ausstiegsplans tatsächlich auf ein Datum jenseits des Jahreswechsels rutschen, wäre das fatal. Denn schon jetzt leiden die Unternehmen der beiden zentralen Erneuerbaren-Branchen Windkraft und Photovoltaik unter unklaren Perspektiven und fehlenden Rahmenbedingungen. Die Aufgabe des kurzfristigen Klimaziels für 2020, die überfallartige Kürzung an der gesetzlichen Vergütung teilnehmende Photovoltaikanlagen, die entgegen den ursprünglichen Versprechungen um drei Monate verspätete Bekanntgabe von zusätzlichen Sonderausschreibungen für mehr Zubau von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen, Angriffe aus zwei Bundesländern auf die Privilegierung des Windparkbaus haben sogar noch neue Unsicherheiten ins Spiel gebracht – und lassen schon jetzt Planer und Investoren beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren zögern. Würde der Kohlekraft-Ausstiegsplan nun noch bis ins Folgejahr verzögert, wäre auch dessen Glaubwürdigkeit angegriffen. Denn wer soll diesem Plan dann noch trauen – zumal angesichts des bisher schon gezeigten laxen Umgangs der vierten Merkel-Administration mit den Energiewende- und klimapolitischen Zielen? Eine entgegen dem festgeschriebenen Auftrag verschobene Agenda-Präsentation legt natürlich nahe, dass auch die in der Agenda festgeschriebenen Daten nur ein Wünsch-Dir-Was, aber keineswegs verbindliche Haltepunkte sind.

Wer etwas aus der skandalösen Chronik dieser real existierenden schwarz-roten Klimapolitik mitnehmen will, der muss allerdings auch doch noch einen kurzen konzentrierten Blick auf die handelnden Akteure werfen. Auf der einen Seite steht die wie die SPD ums Überleben kämpfende ehemalige Volkspartei CDU. Schon während der langen Vorwahl- und Wahlkampfzeit der Bayernwahl im September musste sie sich von ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU aufs immer Neue in rechte politische Debatten über die Abwehr von Flüchtlingen drängen lassen – und sich derweil allen klaren neuen Bekenntnissen zu Klimaschutz und Energiewende enthalten. Schon das Energiesammelgesetz, das die Sonderausschreibungen enthält, musste zur Schonung der bayerischen Wahlkämpfer auf die Zeit nach der Bayernwahl verschoben werden. Jetzt hat sich die CDU in den Wahlkampf ihrer drei Kandidaten um die Nachfolge des Parteivorsitzes vertieft, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel davon zurückgetreten ist. Außer konservativer Nabelschau und Rückbesinnungen auf die Politik der 1990er-Jahre sind nach bisherigen Eindrücken zumindest bei den zwei männlichen Kandidaten keine Impulse für jede noch so vorsichtige wirklich neue Energiepolitik zu erwarten.

Auf der anderen Seite findet sich die SPD. Die Sozialdemokraten haben sich aufgegeben. Das zeigt sich schon daran, dass jegliches der sich häufenden öffentlichen Bekenntnisse der Parteispitze nichts mehr wert ist. Hier sollte die Branche nicht nur die plötzlichen Nebelkerzen um eine Umkehr in der Sozialpolitik wahrnehmen, woraufhin die Genossen nicht einmal im Ansatz parlamentarische Initiativen folgen lassen wollen. Es zeigt sich auch am mittlerweile fast wöchentlich vorgeführten Bruch des Versprechens von Parteichefin Andrea Nahles, dass die SPD bei schweren Verstößen gegen den Koalitionsvertrag das für sie unheilvolle Regierungsbündnis verlassen werde. Das geschah beispielsweise auch nicht, als jetzt der Entwurf des Energiesammelgesetz erschient – mit seinen vielen kleinen und größeren Gemeinheiten gegen die im Regierungsvertrag der drei Parteien beschlossene schnellere Energiewende. Das geschieht auch jetzt nicht, wo das nächste große Koalitionsvertrags-Versprechen einer Ausstiegsagenda für die Kohlekraft bis Ende 2018 kippt.

Fazit muss also sein, dass in dieser Koalition die Energiewende keine Fortschritte mehr machen wird. So muss die Branche einstweilen auf Neuwahlen hoffen – auf jeden Fall auf irgendwie sich bildende neue Regierungskonstellationen. Sogar eine Minderheitsregierung der Unionsparteien wäre wohl besser für die Energiewende, weil CDU und CSU gegen eine wieder oppositionellere SPD und gegen die wenigen auch bei ihnen vertretenen Energiewendeunterstützer ihre Verweigerungshaltung ebenso wenig durchhalten könnten, wie der jetzt noch blühende wirtschaftsliberale konservative Flügel der SPD.

Schön wäre es, statt immer über die Regierungspolitik wieder öfter über technologische Revolutionen der Erneuerbaren-Branchen kommentieren zu können. Doch genau darum muss es der Branche in ihrer jetzigen Durststrecke gehen, die wohl erst mit einem neuen Regierungsbündnis endet. Denkbar wären außer dem unwahrscheinlichen Rot-Rot-Grün-Bündnis eine Koalition aus CDU/CSU und Grünen mutmaßlich wäre auch die Ende 2017 fast zustande gekommene Jamaika-Konstellation aus FDP, Unionsparteien und Grünen eine Verbesserung, wie deren Fast-Einigung auf ein schnelles Abschalten von mehreren Kohlekraftwerken illustriert. Die Branche muss sich daher auf die von ihr schon jetzt kraftvoll vorangetriebenen Innovationen konzentrieren, beispielsweise auch auf das in Hamburg in den kommenden Monaten mit Demonstratoren ans Licht der Öffentlichkeit tretende Forschungsprojekte Norddeutsche Energiewende 4.0 (NEW 4.0). Dieses ist dank einer guten und irgendwie noch zustande gekommenen guten Millionenförderung des Bundeswirtschaftsministeriums nun ein Schaufenster für äußerst professionelle Experimente, wie die Energiewende im Testraum Hamburg und Schleswig-Holstein zu 100 Prozent umgesetzt werden kann. Projekte wie dieses werden den schon entwickelten wirtschaftlichen Sog der Energiewende weiter verstärken.